„Tennis ist wie Schach!”
Aktuell hat man gezwungenermaßen viel Zeit, sich auch vermehrt theoretisch mit dem Tennissport auseinanderzusetzen. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen und einen kurzen Einblick über meinen persönlichen Zugang und meine persönlichen Erfahrungen zum Thema »Taktik im Tennis« geben.
Die Theorie. »Tennis ist wie Schach« — daher spricht man ja auch von taktischen Schachzügen — ein Satz den ich als Kind häufig gehört habe und der damals für mich keinen Sinn ergab. Mittlerweile verstehe ich, was vor allem mein Trainer damit gemeint hat und warum er gelegentlich mit mir vor Matches eine kurze Schachpartie gespielt hat. Doch was bedeutet das nun konkret?!

Meiner Meinung nach wird dieser Vergleich deshalb gezogen, weil es in beiden Fällen darum geht, seine Gegnerin bzw. seinen Gegner zu »lesen«, deren/dessen Spielzüge vorauszuahnen, sie/ihn unter Druck zu setzen und wenn man selber in Bedrängnis kommt, sich rasch erfolgsversprechende Gegenstrategien zu überlegen, um am Ende die für sich bestmögliche Leistung erbringen zu können. In der Praxis ist dies jedoch oftmals leichter gesagt, als getan. Denn um einen Großteil des dafür notwendigen Rüstzeugs zu haben, bedarf es neben Zeit noch einiger anderer Voraussetzungen.
Dazu gehören unter anderem…
1) Zeit/Erfahrung — je länger man sich mit dem Tennissport auseinandersetzt, umso mehr Erfahrung hat man und umso mehr taktische Varianten kennt man. Auch weiß man mit der Zeit, wie und wann man sie anwenden soll. Zusätzlich wächst auch die Fähigkeit, taktische Schachzüge der Gegnerin bzw. des Gegners rasch zu erkennen und darauf entsprechend reagieren zu können…
2) Eigene Stärken und Schwächen — man muss sich seiner eigenen Stärken und Schwächen bewusst sein. Das ist notwendig, um daraus die individuell optimale Taktik zu entwickeln…
3) Fremde Stärken und Schwächen — man muss in der Lage sein, die Stärken und Schwächen der Gegnerin bzw. des Gegners zu erkennen. Das ist entscheidend, um sich — für den Fall, dass die eigene Taktik nicht »funktioniert« — eine entsprechende Gegenstrategie überlegen zu können…
4) Die »richtige« Taktik umsetzen können — je größer das Schlagrepertoire ist und je länger man die Feinheiten der einzelnen taktischen Konzepte herausgearbeitet und trainiert hat, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, für jede(n) GegnerIn beziehungsweise für jeden Spielverlauf oder jede Spielsituation das beste taktische Konzept anwenden zu können…
5) Die richtige Taktik umsetzen wollen — nur zu wissen, was man spielen soll, reicht oftmals nicht, weil es meiner Erfahrung nach viele SpielerInnen gibt, die lieber in »Schönheit sterben«, als mit einer Taktik zu gewinnen, mit der sie sich nicht identifizieren können/wollen (z.B. defensive Spielform)…
6) Ausdauer — man muss die Ausdauer haben, die »richtige« Taktik auch konsequent durchzuspielen. Es gibt viele Beispiele von Matches, wo deutlich zu erkennen war, dass ein(e) SpielerIn die perfekte Taktik gefunden hatte, es ihr/ihm dann aber zu »einfach« und sie/er in alte Muster zurückfielen und den Platz letztendlich als VerliererIn verließen…
7) Die Praxis. Nachdem diesem theoretischen Überblick zum Thema Taktik kommen wir nun zur Praxis. Dazu stelle ich Euch drei verschiedene Spielformen vor, die meiner Erfahrung nach in unterschiedlicher Häufigkeit in allen Alters- oder Spielklassen zu erkennen sind…
Spielform Nummer 1
Die »defensive Spielform« (dS). Ziel dabei ist es, selbst wenig unerzwungene Fehler zu begehen, indem der Ball mit einem entsprechenden Sicherheitsabstand zum Netz und zu den Linien ins gegnerische Feld gespielt wird. Durch diese Spielweise soll der Gegner dazu verleitet werden, mehr Druck aufzubauen und somit das eigene Risiko zu erhöhen, wodurch seine Fehlerquote im besten Fall zunimmt. Beispiel: Australian Open 2020, Ende fünfter Satz, Novak Djokovic gegen Dominic Thiem — Djokovic zwingt Thiem (der körperlich schon gezeichnet war) durch längere Ballwechsel, noch mehr Risiko einzugehen. Das Resultat ist hinlänglich bekannt…
Spielform Nummer 2
Die »aggressive Spielform« (aS). Diese Spielform unterscheidet sich von der »dS« dadurch, dass man den Ball etwas näher an den Linien platziert, wodurch der Gegner mehr laufen muss. Auch hier sollten riskante Bälle vermieden werden, jedoch wird bei der »aS« der Gegner vermehrt durch höheres Tempo und eine genauere Platzierung unter Druck gesetzt, wodurch sich seine Fehlerquote erhöht. Beispiel: Nadal — Finale French Open 2019 — leider wieder gegen Thiem…
Spielform Nummer 3
Die »offensive Spielform« (oS). Hierbei geht es darum, den Gegner schnellstmöglich, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, unter Druck zu setzen. Normalerweise sind hier die Ballwechsel am kürzesten. Bei dieser Spielform sind auch Netzattacken am häufigsten zu sehen. Die »oS« birgt natürlich die Gefahr, zu früh auf den Punkt zu gehen, was sich negativ auf das Verhältnis zwischen Fehlern und Punkten auswirken kann. Beispiel: Roger Federer — unter anderem »SABR« (Sneak Attack by Roger)
Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass jeder Spieler zwischen diesen Spielformen unterscheiden und diese umsetzen kann, um diese im Verlauf eines Matches oder wenn möglich im Verlauf eines Ballwechsels richtig anwenden zu können. Dadurch ist der Spieler in der Lage, in Abhängigkeit vom Gegner, von den äußeren Umständen (Belag, Wind,…) oder seiner eigenen Verfassung (gutes/schlechtes Gefühl, fit oder unfit,…) die optimale Spielform auszuwählen und eine entsprechende Leistung an diesem Tag zu erbringen.