Toni Witz - Kompetenzforum

Niederlage wie ein Sieg

Nie­der­la­ge wie ein Sieg


US Open Fina­le — oder: Wie sich eine Nie­der­la­ge am Ende doch noch wie ein Sieg anfüh­len kann… Da ich Anfang des Jah­res einen Bei­trag zum Aus­tra­li­an-Open-Fina­le zwi­schen Novak Djo­ko­vic und Daniil Med­ve­dev geschrie­ben habe, möch­te ich nun auch mei­ne Gedan­ken zum letz­ten Grand-Slam-Tur­nier des Jah­res mit Euch tei­len. Wie­der stan­den sich der Ser­be und der Rus­se gegenüber.

Medvedev & Djokovic
© Jür­gen Hasenkopf

Nun, die Aus­gangs­la­ge bei die­sem Fina­le war eine gänz­lich ande­re als noch zu Beginn des Jah­res. Die­ses Mal hat­te Djo­ko­vic die Mög­lich­keit, mit einem wei­te­ren Tri­umph bei einem Major-Tur­nier der Spie­ler mit den meis­ten Grand-Slam Titeln zu wer­den und — was mei­ner Mei­nung nach noch bedeu­ten­der war — nach Rod Laver der zwei­te Spie­ler in der Geschich­te des Ten­nis­sports zu wer­den, der die vier größ­ten Tur­nie­re inner­halb eines Kalen­der­jah­res gewinnt.

Die in diver­sen Bericht­erstat­tun­gen befrag­ten »Exper­ten« waren sich alle einig, dass Djo­ko­vic, der für sei­ne men­ta­le Stär­ke bekannt ist, sich die Gele­gen­heit, sich ein für alle Mal unsterb­lich zu machen, nicht neh­men las­sen wür­de. Ein­zig Mischa Zverev woll­te sich unmit­tel­bar vor dem Match auf kei­nen Sie­ger festlegen.

Das Match begann gleich mit einem Break für Med­ve­dev und auf­grund sei­ner unglaub­li­chen Auf­schlag­stär­ke und dem Umstand, dass der wahr­schein­lich bes­te Return­spie­ler aller Zei­ten zu Beginn kei­ne Mit­tel fand, die­sen zu ent­schär­fen, ging der ers­te Satz an Med­ve­dev. Der Rus­se schien sei­ne Nie­der­la­ge in Mel­bourne gut ver­ar­bei­tet zu haben und zeig­te sich ver­gleichs­wei­se selbst­be­wusst und sou­ve­rän. Djo­ko­vic über­ließ sei­nen Geg­nern im Ver­lauf der dies­jäh­ri­gen US Open ins­ge­samt nicht weni­ger als fünf Mal den ers­ten Durch­gang und man hat­te das Gefühl, dass hier eine gewis­sen Tak­tik dahin­ter ste­hen kön­ne. Eine muti­ge The­se wäre: Novak gestat­tet sei­nem Gegen­über Satz eins, um für sich künst­lich eine gewis­se Druck­si­tua­ti­on zu erzeu­gen, damit er selbst an sei­ne Leis­tungs­gren­ze gehen muss. In den Matches gegen Nishi­k­ori, Brooks­by, Ber­ret­ti­ni und Zverev ließ er den Auf­takt­durch­gang lie­gen und auch gegen Rune gab er einen Satz deut­lich ab. Ehr­lich gesagt hat­te ich auch gegen Med­ve­dev kei­ne Beden­ken, dass Djo­ko­vic das Match dre­hen würde.

ach­dem er aber im zwei­ten Satz meh­re­re Break­chan­cen nicht ver­wer­ten konn­te und mit über­ra­schen­den Netz­an­grif­fen ver­such­te, die Ball­wech­sel eher kür­zer zu hal­ten, kamen in mir lang­sam Zwei­fel auf. Irgend­wie hat­te man das Gefühl, dass sich Djo­ko­vic auf dem Platz nicht wohl fühl­te. Sei­ne Prä­senz am Court, bezie­hungs­wei­se sei­ne oft­mals spür­ba­re Über­le­gen­heit spe­zi­ell in spiel­ent­schei­den­den Situa­tio­nen, bei denen er das soge­nann­te »Momen­tum« für sich erzwin­gen konn­te, fehl­te an die­sem Tag. Aber auch nach dem Ver­lust des zwei­ten Sat­zes woll­ten man noch nicht so rich­tig an eine Djo­ko­vic-Nie­der­la­ge glau­ben. Ich hat­te immer noch das Gefühl, dass Djo­ko­vic auf­grund sei­ner Domi­nanz in den ver­gan­ge­nen Mona­ten und der sich bie­ten­den ein­ma­li­gen Gele­gen­heit auf den lupen­rei­nen »Grand Slam«, am Ende als Sie­ger den Platz ver­las­sen wür­de. Ich erin­ne­re hier an den 0:2‑Satzrückstand gegen den damals furi­os auf­spie­len­den Grie­chen Tsit­si­pas im Fina­le der French Open. Ein sol­ches Sze­na­rio in New York wür­de den Erfolg ja dann noch bedeut­sa­mer machen. Hat­te der Djo­ker die­se Situa­ti­on womög­lich absicht­lich insze­niert?! Immer­hin hat­te er uns in den ver­gan­ge­nen Jah­ren das Gefühl ver­mit­telt, nie­mals ein solch wich­ti­ges Match ver­lie­ren zu können.

Dass er es am Ende dann doch nicht geschafft hat, dafür gibt es mei­ner Ansicht nach meh­re­re Grün­de. Ein wesent­li­cher Grund war sicher­lich, dass Med­ve­dev an die­sem Tag im Stan­de war, über das gesam­te Match eine star­ke Leis­tung zu erbrin­gen. Spe­zi­ell in den ent­schei­den­den Momen­ten konn­te sich der Rus­se vor allem auf sei­nen Auf­schlag ver­las­sen. Ein wei­te­rer Grund war offen­sicht­lich, dass Djo­ko­vic mit dem Druck, der von außer­halb auf ihn ein­wirk­te und den er sich sel­ber zu machen schien, nicht umge­hen konn­te. Dies zeig­te sich bei­spiels­wei­se dar­an, dass er nicht in der Lage war, sei­ne gro­ße Stär­ke, in ent­schei­den­den Momen­ten noch ein wenig druck­vol­ler und noch prä­zi­ser als sein Gegen­über zu agie­ren, abzu­ru­fen. Der letz­te und für mich per­sön­lich ziem­lich über­ra­schen­de Grund war die deut­lich grö­ße­re Unter­stüt­zung des ame­ri­ka­ni­schen Publi­kums für den Ser­ben, wel­ches fast jeden sei­ner Punk­te fre­ne­tisch beju­bel­te, so als woll­ten sie mit­ver­ant­wort­lich sein für den Sieg und die damit ver­bun­de­ne unglaub­li­che Leis­tung in Bezug auf den Grand Slam.

Die­se für Djo­ko­vic doch eher sel­ten erleb­te und dadurch unge­wohn­te Situa­ti­on in Ver­bin­dung mit dem Druck waren am Ende zu viel für ihn. Doch die vor dem letz­ten Game in der Pau­se nach außen getra­gen Gefüh­le von Djo­ko­vic, die ihn für vie­le mensch­lich und nah­bar mach­ten, tru­gen dazu bei, dass ihn das ame­ri­ka­ni­sche Publi­kum noch stär­ker anfeu­er­te und er dadurch — unmit­tel­bar vor sei­ner wahr­schein­lich größ­ten Nie­der­la­ge — die von ihm stets ein­ge­for­der­te Aner­ken­nung von Sei­ten des Publi­kums end­lich spü­ren konn­te. Am Ende hat­te man bei der Sie­ger­eh­rung ein wenig das Gefühl, dass der Ser­be trotz der ver­ge­be­nen Chan­ce etwas His­to­ri­sches zu leis­ten, doch irgend­wie zufrie­den war. Denn viel­leicht konn­te sich Djo­ko­vic bis zu die­sem Zeit­punkt nicht vor­stel­len, dass man sich auch im Moment einer Nie­der­la­ge als Sie­ger füh­len kann, zumin­dest wenn man den­noch den Respekt und die Aner­ken­nung des Publi­kums erfährt.