
Frage an Thassilo Haun: Hallo Herr Haun. Ich bin Sportwart in einem kleinen Tennisverein am Rande des Teutoburger Waldes. Wir haben vier Plätze und knapp 150 Mitglieder. Der Deutsche Tennis Bund bewirbt Jahr für Jahr seine Aktion »Deutschland spielt Tennis«. Sollte man Ihrer Meinung nach hieran teilnehmen? Lohnt sich das? Haben Sie da Erfahrungswerte? Bei der Durchsicht der durch den Deutschen Tennis Bund zur Verfügung gestellten Materialien kann ich jetzt nichts entdecken, was für mich revolutionär wäre und uns neue Mitglieder bescheren könnte, denn schlussendlich liegt es ja doch an den handelnden Personen vor Ort. Freue mich auf Ihre langjährigen Erfahrungen in diesem Bereich, denn Mitgliedergewinnung dürfte ja für alle eine immer wiederkehrende Herausforderung sein.

Thassilo Haun: Vielen Dank für Ihre Nachfrage, die ich aufgrund des erfreulichen Umstandes, dass ich seit letzter Woche wieder Training geben darf, leider erst mit etwas Verspätung beantworten kann. Wie Sie richtig schreiben, sind die durch »Deutschland spielt Tennis« angebotenen Pakete weder revolutionär noch werden Maßnahmen oder Inhalte angeboten, die es nicht schon einmal gab oder auf die man nicht selbst kommen würde, wenn man sich mit dem Tennissport, seinem Verein sowie, ganz zentral, mit den Wünschen seiner Mitglieder beschäftigt.
Mitglieder eines Vereines in einer großen Rheinmetropole haben ganz bestimmt andere Wünschen und Erwartungen als die von Ihnen genannten 150 Mitglieder im schönen Teutoburger Wald. Entscheidend ist, dass Sie wissen, was Ihre Mitglieder an Angeboten schätzen und was nicht. Hier können weder der Deutsche Tennis Bund noch dessen Initiatoren von »Deutschland spielt Tennis« weiterhelfen. Das wissen nur Sie und die mit Ihnen im Sinne des Vereins handelnden Personen.
Aus meiner Erfahrung geht nichts über den persönlichen Austausch mit den Mitgliedern — gepaart mit einer guten Portion Fingerspitzengefühl, wenn es darum geht, auch mal neuere Formate auszuprobieren, die es so vielleicht noch nicht gab. Angenommen, Ihre älteren Mitglieder lieben das Doppel und angenommen, hierzu gab es in den letzten Jahren bereits 1 x pro Woche eine Art »Jour fixe« – was spricht dagegen, dass neu in den Verein hinzukommende Kinder und Jugendliche ganz bewusst und ganz gezielt mit älteren Mitgliedern vernetzt werden!?
Gerade in Zeiten wie diesen, in denen manch normale Sache wie ein »Hallo« beim Betreten der Anlage vergessen wird oder gewisse Grundwerte wie Respekt und Wertschätzung in einigen Familien nicht mehr so bewusst vermittelt werden wie vielleicht in meiner Jugend oder in Ihrer, kann es sehr wertvoll sein, von einem älteren Mitglied als eine Art Mentor oder Pate an die Hand genommen zu werden. Dieses generationsübergreifende Denken und Handeln kann den Gemeinsinn im Verein nachhaltig stärken und gibt hierbei sowohl dem älteren Mitglied eine Möglichkeit, seine Erfahrungen im Verein und auf dem Platz weiterzugeben, aber auch eben ein Stück weit seine Lebenserfahrung, die für den Jugendlichen von allergrößtem Wert sein könnte.
Ich weiß, dass es viele ältere Mitglieder gibt, die die Dinge so bewahren wollen, wie sie schon immer waren. Keine Experimente, Hauptsache am Montag von 10 bis 12 Uhr ist Platz 2, der noch im Schatten liegt, immer frei für »mich und meine drei Spezl«, die ich seit 1968 regelmäßig treffe. Dies ist frei von jedweder Kritik. Ich stelle dies nur fest und das ist auch gut, so wie es ist. Ich weiß aber auch, dass es viele ältere Mitglieder gibt, die nur darauf warten, sich einbringen und engagieren zu dürfen, und sei es auch »nur« für eine Stunde Tennis mit einem neuen und deutlich jüngeren Mitglied.
Der absolute Königsweg geht in meinen Augen über den bei Ihnen auf der Anlage zuständigen Trainer. Er ist der Motor des Vereins, er ist sehr oft das erste Gesicht und der erste, der von potentiellen Neumitgliedern angesprochen wird. Noch entscheidender ist es umgekehrt, dass der Trainer auch proaktiv auf potenzielle Neumitglieder zugeht und einfache Möglichkeiten schafft, die Anlage, die Plätze und vielleicht auch ihn als Trainer kennenzulernen. Gut wäre natürlich auch, wenn sich der Trainer hierfür Zeit nimmt und auch mal deutlich früher auf der Anlage ist und nicht um »5 vor« auf den Parkplatz einbiegt, damit er um »1 nach« sein Training mit möglicherweise noch nicht geschnürten Schuhen beginnt.
Ich selbst habe mich 2019 bewusst für einen kleinen Verein entschieden, in dem drei Trainer vor mir wenig bis nichts getan hatten. Dazu eine große Unzuverlässigkeit und Gelder, die vorab kassiert wurden, ohne dass jemals Training stattfand. Es bestand eine große Unzufriedenheit aufseiten der Abteilungsleitung, viele Mitglieder hatten gekündigt und andere warten ziemlich »angenervt«.
Ich habe mich auf der Mitgliederversammlung vorgestellt und darum gebeten, mir eine Chance zu geben, damit ich zeigen kann, wie ein Training und die Organisation erfolgen kann. Im Sommer 2020 ging es mit fünf Wochen Verspätung los und ich habe vom ersten Tag an die Anlage früher betreten, als ich musste und habe jeden gegrüßt, der mir begegnete. Nicht aufgesetzt oder künstlich, sondern »echt und von Herzen kommend«. Nach wenigen Wochen war ich an allen Tagen ausgebucht, da es sich rumgesprochen hat, dass er neue Trainer zum einen ein viel besserer Trainer ist als der Vorgänger und es zum anderen auf einmal auf eine saubere Kommunikation, Organisation und Mitgliederansprache gab. Im vergangenen Winter gelang es mir erstmalig, ein Wintertraining zu organisieren. Dass dies wegen der Pandemie nach sechs Wochen zu Ende war, konnte keiner ahnen, aber ich bin stolz über den großen Vertrauensbeweis.
Mittlerweile ist es so, dass ich im Sommer 2021 einen weiteren Tag auf der Anlage bin und auch dieser ausgebucht ist. Ich kenne jedes Mitglied mit Namen und weiß ziemlich genau, was die »Dauerspieler« motiviert und antreibt. Stand heute habe ich 18 neue Mitglieder gewonnen, darunter zwei einzelne Kinder sowie vier komplette Familien (Papa, Mama, zwei Kinder). Dies kommt dem Verein zu Gute. Dass ich die komplette Kommunikation übernommen, die entsprechende Schnupperangebote geschaffen habe, die Mitgliedsanträge ausgedruckt, vorbereitet und entweder per Post versendet oder persönlich vorbeigebracht habe, ist meine persönliche Note.
Das beste Plakat kann die persönliche Note nicht ersetzen. Es braucht zwei bis drei Leute, die etwas bewegen wollen. Dazu braucht es keinen DTB und kein »Deutschland spielt Tennis« Ich wünsche Ihnen, dass Sie diese zwei bis drei Menschen um sich haben und dass sie ihre Mitglieder zielgruppenspezifisch da abholen, wo sie stehen. Seien Sie mutig, seien Sie kreativ! Meine persönliche Empfehlung: Erfinden Sie das Rad nicht neu. Je einfacher, desto besser! Liebe Grüße und melden Sie sich gerne, wenn sie erste Erfolge zu verzeichnen haben!