Den Sack zuschnüren…
Hallo Steph! Erst einmal vielen Dank für Deine bisherigen Tipps. Ich freue mich immer riesig, wenn wieder etwas Neues von Dir gepostet wird, denn mir gefällt die Kombination aus cooler Schreibe und mentalem Know-How! Danke auch an dieser Stelle an die Tennisredaktion, dass auch wir ambitionierten Hobbyspieler die Möglichkeit haben, auf das Wissen von echten Experten zugreifen zu können. Meine Frage an den »HEAD-Man«: Ich spiele regelmäßig Turniere, bin mit meinen Resultaten aber nicht so richtig zufrieden. Zu oft habe ich Spiele dabei, in denen ich teilweise ziemlich klar führe, teilweise mit Satzbällen, den Sack jedoch nicht zuschnüren kann. Wie kann ich solche Matches künftig gewinnen?
Stephan Medem: Erst Mal THANX für die Blumen, auch im Namen meiner Experten-Kollegen! »Den Sack nicht zuschnüren« zu können, ist eine bittere Situation. Du spielst ja nicht gegen einen übermächtigen Gegner, der Dich einfach so vom Platz knallt, damit lässt sich in der Regel ja relativ locker umgehen. »Der Typ war einfach zu gut« kann man akzeptieren und ganz easy abhaken, was nicht heißen soll, dass man nicht weiter hart trainiert, sein Spiel verbessert, um beim nächsten Clash vielleicht sogar zu gewinnen.
In Deinem Fall hast Du es mit einem Gegner zu tun, der mit Dir auf Augenhöhe zockt, sonst wärst Du ja zwischenzeitlich nicht in Führung, hättest keine Satzbälle. Das Fatale, was in dieser Situation (nicht nur Dir!) passiert: Du spielst nicht mehr im HIER und JETZT. Plötzlich fängt unser Hirn an, Gedanken zu produzieren, die wir überhaupt nicht gebrauchen können. „Hey, noch diesen einen Punkt, dann hast Du den Satz gepackt” — oder: „Turniersieg, ich komme!!!” — oder: „Hoffentlich verschlägt er/sie den nächsten Ball! — oder: „Bitte, bitte lieber Aufschlag, lass mich jetzt nicht hängen!” — All dies sind Gedanken, die sich schon in der Zukunft bewegen. „Oh Gott, schon beim letzten Turnier hatte ich Satzball und schon da konnte ich den Sack nicht zumachen.” — oder: „Schon wieder diese Situation, ich hasse sie!” — oder: „Mein Vater da draußen schaut schon wieder so komisch, wie beim letzten Mal vor zwei Wochen.” — Hier haben wir Gedanken, die sich mit der Vergangenheit befassen. Beides Zeitformen, die ein Sportler, der Erfolg haben will, überhaupt nicht gebrauchen kann.
Wie kannst Du diese fiese Sabotage Deines eigenen Gehirns unterbinden? Ein »ganz einfach« kann ich Dir leider nicht anbieten. Die Gedanken sind da, basta! Akzeptiere sie! Aber: Du musst lernen, Dich in diesen »Big-Point«-Situationen auf etwas anderes zu konzentrieren. Visualisiere Deinen tollsten Sieg! Bewege Deine Beine, als ob’s kein morgen gäbe! Fokussiere den Tennisball so sehr, dass Du sogar die einzelnen Fussel oder die Schrift darauf erkennen kannst. Dadurch gibst Du Dir eine sinnvolle Aufgabe, die Dich dem Sieg näher bringt! Gleichzeitig lenkst Du damit Deine Gedanken weg von Zukunft oder Vergangenheit. Du bist da, wo Du gebraucht wirst: im HIER und JETZT!