Wahrhaft diskrepant
Von Christoph Kellermann.
Ursprungsdatum: 21.07.2018
Es ist schon erstaunlich, womit sich der Deutsche Tennis Bund wenige Tage nach Kerbers Wimbledontriumph offensichtlich am meisten beschäftigt hat. Der mitgliederstärkste Tennisverband der Welt ließ nämlich dieser Tage über eine eigens verfasste Pressemitteilung verlauten, dass das Marktforschungsunternehmen »Nielsen Sports« im Auftrag des DTB nach einer repräsentativen Umfrage schier unglaubliche Zahlen zusammentragen konnte. Hiernach sollen sage und schreibe 6,3 Millionen Menschen auf Grund des Kerberschen Triumphes ein — so der Deutsche Tennis Bund — »erhöhtes Interesse am Tennissport« haben. Nun, mit dieser Umfrage lässt sich weder werben, noch könnte man daraus schließen, dass es mit dem Tennissport in Deutschland derart bergauf ginge, wie es der Deutsche Tennis Bund uns und seinen (potentiellen) Werbepartnern gerne vermitteln möchte.

Ein gewisser Pascal Schulte mit dem vielsagenden Titel »Vice President Sales Operations & Account« beim Kölner Unternehmen »Nielsen Sports« präsentierte den »Heads of Everything« des Deutschen Tennis Bundes Zahlen, bei denen es uns — so die Umfragewerte denn stimmen — um den nationalen Tennissport in Zukunft nicht bange sein muss. Dem gegenüber stehen allerdings extrem schwache Einschaltquoten während des umworbenen Wimbledonfinals: Gerade einmal 190.000 Sky-Abonnenten sollen dem Duell »Kerber vs. Williams« zugeschaut haben und bei der kurzfristig eingekauften Sublizenz des ZDF waren es lediglich gut zwei bis zweieinhalb Millionen Menschen, die den Kerber-Coup dauerhaft verfolgt haben. Zum Vergleich: wenn Thomas Gottschalk damals bei »Wetten, dass« die zweistellige Millionenquote nicht knacken konnte, sprach man bereits von einem Flop und der beste Münsteraner Tatort brachte es in diesem Jahr auf 12 Millionen Zuseher. Die Triumphe von Steffi Graf und Boris Becker sahen in den 80er- und 90er-Jahren laut »Quotenmeter.de« übrigens nicht selten 15 Millionen Tennisfans und mehr. Schulte spricht beim ZDF darüber hinaus von einem Spitzen-Zuschauerwert bei Kerber gegen Williams von 3,6 Millionen. Wann wurde dieser Wert erfasst? Vermutlich in der Halbzeitpause des parallel stattfindenden WM-Spiels Belgien gegen England. Soccer rules. O‑Ton Schulte: „Es gibt viele Sportarten, die sich solche Werte wünschen!” Sicher. Es gibt auch viele ehrenwerte Sportarten, die sich überhaupt mal eine Übertragung wünschen. Rhönradfahren, Synchronschwimmen oder Unterwasserrugby zum Beispiel.
Es ist mehr als offensichtlich: Der Deutsche Tennis Bund versteht es auch weiterhin nicht, sich selbst, seinen Sport und seine Athleten vernünftig zu vermarkten. Er hat auch gar keinen wirklichen Zugriff auf sie. Angelique Kerber nimmt nach dem Wimbledon-Coup ein, zwei Sponsorentermine in eigener Sache wahr, fliegt dann weit weg in den Urlaub oder in ihre Heimat nach Polen und Alexander Zverev verzieht sich abseits seiner sportlichen Auftritte in schöner Regelmäßigkeit in seine Wahlheimat Monaco und genießt sein Jet-Set-Leben. Und weil es der DTB nicht schafft, seine Zugpferde an der Basis volksnah einzubinden, verstrickt man sich in billige Alternativ-Kampagnen wie »Unser Tennis« mit grandiosen Testimonials wie Dieter Nuhr oder Matthias Opdenhövel. O‑Ton DTB: „Wir rücken diese prominenten Tennisfans in den Fokus unserer neuen Online-Kampagne!” Die Präsidiums-Sitzung, in der das abgesegnet wurde, ist sicher schon heute legendär. Ebenso wie die schwindelerregende Zahl der durch Kerber angeblich aktivierten sage und schreibe 6,3 Millionen (in Worten: sechs-komma-drei-Millionen) Tennisenthusiasten hierzulande. Das Verhältnis des hier kommunizierten abenteurlichen Umfragewertes zur aktuellen Mitgliederzahl des DTB, die ich hier besser verschweige, ist wahrhaft diskrepant.