Vater unser in Deutschland
Von Christoph Kellermann.
Ursprungsdatum: 19.04.2020

Lasset uns beten.
Vater unser in Deutschland,
geheiligt werde das Tennis.
Die Saison komme.
Unser Wille geschehe,
wie im Norden so im Süden.
Unser tägliches Match gib uns heute.
Und vergib uns unsere Ungeduld,
wie auch wir vergeben allen Kritikern.
Wir führen uns selbst in Versuchung,
um uns zu erlösen von dem Bösen.
Unser Club ist unser Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.
Es ist Samstagfrüh und ich dachte mir, ich hol mir mal wieder ein wenig Shitstorm ab. Weil ich ja ein ausgewiesener Schwarzseher bin. Weil bei mir das Glas ja immer halb leer ist. Und vor allem: weil ich der personifizierte Spielverderb bin. Dabei mache ich mir ainfach nur Sorgen…
Während führende Politiker, nicht zuletzt die Bundeskanzlerin, die Corona-Krise für unsere Bevölkerung als schwierigste Herausforderung seit des zweiten Weltkriegs einordnen, fordern der Deutsche Tennis Bund, seine Landesverbände, zahlreiche Clubs und viele unvernünftige Mitglieder (nennen wir sie mal »Esel«) vehement die zeitige Öffnung der Tennisclubs sowie die Freigabe zur Ausübung des weißen Sports. Ob Tennis nun wirklich die am perfektesten geeignete »Corona-Sportart« darstellt, ist zumindest diskutabel. Das Topargument, wonach man sich auf einem Tennisplatz in einem Abstand von über 20 Metern gegenüber steht, ist wie wir alle wissen sehr dünnes Eis. Für die Unvernunft Vieler spricht jedenfalls die Tatsache, dass diese Forderungen ja nicht erst seit gestern im Netz kursieren, sondern zu einem Großteil bereits unmittelbar nach Inkrafttreten der bundesweiten Kontaktsperren ausgerufen wurden. Der gemeine Tennisspieler mag halt nicht beschnitten werden.
In seinem jüngsten Bettelbrief an die Landesregierungen sowie an die Bundesregierung betont der Deutsche Tennis Bund, dass es ihm überhaupt nicht darum ginge, einen Sonderweg für den Tennissport freizugeben. Ja nee, is klar. Dass der Deutsche Tennis Bund für die sieben im Bettelbrief gelisteten Maßnahmen die Verantwortung tragen möchte? Hut ab! Einzig Punkt Drei, »der Verzicht aufs Händeschütteln«, kann wohl flächendeckend umgesetzt werden. Blind unterschreiben würde ich aber auch das nicht. Spätestens Punkt Sieben der Maßnahmenliste des DTB könnte auch einer Satire-Redaktion entsprungen sein: »Jeder Verein benennt einen Corona-Beauftragten zur Sicherstellung aller Vorschriften«. Das ist natürlich beruhigend. Da kann ja dann eigentlich nicht mehr viel passieren…
Nun also haben die ersten Landesverbände ad hoc die Öffnung der Tennisanlagen erlaubt. In Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz fliegen teilweise schon ab übermorgen, 20. April 2020, wieder die Bälle über die Netze. Grundsätzlich ist das Musik in unser aller Ohren, jedoch bleibt zu hoffen, dass alle Beteiligten die Rechnung nicht ohne die vielen »Club-Esel« gemacht haben, denen die Einhaltung der Maßnahmen am Arsch vorbei gehen wird. Wie viele Esel unsere Bevölkerung stellt, durften wir ja in den vergangenen sechs Wochen nahezu überall live und in Farbe erleben. Ich erinnere nur an »Baumarktschlangen, Hamsterkäufe und Corona-Partys«…
Während die Kanzlerin den allgemeinen Status Quo im Lande noch vor 72 Stunden (!) als »sehr zerbrechlichen Zwischenerfolg« bewertet hat, bohrt der Deutsche Tennis Bund mit seinen Landesverbänden ein verdammt dünnes Brett. Sie alle geben den Unverbesserlichen einen Freibrief. Bewege ich mich in einem exklusiven Kreis, wenn ich hierbei auch Gefahren sehe? Wenn ich die vielen Hobbyspieler gleich übermorgen schon in Scharen Richtung Clubs radeln sehe? Wen ich Clubwirte und Tennistrainer vor Augen habe, die aus wirtschaftlichen Gründen »Fünfe gerade sein« lassen, um die Verluste der letzten sechs Wochen wett zu machen?
Im Sinne des Tennissports hoffe ich sehr, dass diese DTB-Offensive nicht zum Boomerang wird, denn es wird sie geben, die »jungen Esel«, die sich gleich in der ersten Freiluftstunde die Bälle um die Ohren kloppen, wie auch die vielen betagten Esel, die nach fünf Minuten Einspielzeit ein gepflegtes Döppelchen spielen und sich nach dem Match beim mitgebrachten Dosenpils auf der Clubterrasse Schwänke aus dem vergangenen Winter erzählen. Warum starten wir eigentlich nicht gleich den regulären Mannschaftsspielbetrieb? Am besten beginnt die Altersklasse Ü60, sie stellt in Deutschland gefühlt eh’ den Großteil der Vereinsmitglieder.
»Panem et circenses« — Brot und Spiele.
„Herr, oh Herr, lass es gut gehen…”