Visualisierung

Visua­li­sie­rung


Lie­be Ten­nis­re­dak­ti­on! Ski­renn­fah­rer oder For­mel-1-Fah­rer gehen vor dem Wett­kampf noch­mal jedes Tor oder jede Kur­ve geis­tig durch und stim­men sich ein auf das was kommt. Das sieht man immer im Fern­se­hen, wenn die­se Sport­ler die Renn­stre­cke mit geschlos­se­nen Augen qua­si abfah­ren. Ist dies auch für den Ten­nis­spie­ler denk­bar und wie schaf­fe ich vor einem Match (oder auch einem Trai­ning) eine sol­che men­ta­le Ein­stim­mung? Ich hof­fe, Du kannst ent­schei­dend wei­ter­hel­fen. Ich selbst bin 17 Jah­re alt und mit LK2 sehr ambi­tio­niert. Auch spie­le ich schon flei­ßig Damenturniere.

Ste­phan Medem: Die von Dir beschrie­be­ne Tech­nik nennt sich »Visua­li­sie­rung« und ist ein sehr gutes men­ta­les Tool. Ski­fah­rer und Renn­fah­rer haben dabei eine etwas ande­re Auf­ga­ben­stel­lung, als wir Ten­nis­spie­ler, sie fah­ren einen vor­her bekann­ten Renn­kurs ab. Für uns ist das schon etwas kom­pli­zier­ter. Natür­lich kann es sein, dass wir einen Geg­ner bezwin­gen wol­len, den wir ken­nen oder gegen den wir auch schon in der Ver­gan­gen­heit gespielt haben. Trotz­dem ent­wi­ckelt sich jedes Spiel immer wie­der anders. Wie kön­nen wir die Tech­nik des Visua­li­sie­rens trotz­dem opti­mal nut­zen? Video! Sicher­lich hast Du auch schon das eine oder ande­re Mal eine Video-Ana­ly­se gemacht, um even­tu­el­le tech­ni­sche Feh­ler in Dei­nem Spiel zu eli­mi­nie­ren. Beim Visua­li­sie­ren wol­len wir das »Medi­um Video« anders nut­zen. Lass ein Video von Dir auf­neh­men, in dem Du rich­tig super aus­siehst. Tol­le Schlä­ge, Super Bein­ar­beit, Kör­per­span­nung und selbst­be­wuss­te Kör­per­hal­tung. Ver­su­che die­ses Video mehr­mals bzw. immer wie­der anzu­se­hen. In Zeit­lu­pe! Wenn Du nun in Pau­sen zwi­schen den ein­zel­nen Punk­ten oder vor allem beim Sei­ten­wech­sel kurz die Augen schließt und auf einer ima­gi­nä­ren Kino­lein­wand Dei­nen »Super­film« anschaust, so wird sich ein Kör­per dar­an erin­nern und in der Lage sein, die­sen Film zu repro­du­zie­ren. das nennt sich »Bio-Feed­back«. Je genau­er und kla­rer dabei Dei­ne Bil­der sind, des­to umsetz­ba­rer sind sie. Dabei soll­test du z.B. auch hören kön­nen wie Du den Ball soli­de triffst oder auch wohin Du Dei­nen Ball spie­len willst. Ver­su­che das auch im Trai­ning zu üben, denn auch visua­li­sie­ren will gelernt sein!

             

Spielerbetreuung

Spie­ler­be­treu­ung


Hal­lo Herr Medem! Mich inter­es­siert Ihre Mei­nung zum The­ma Spie­ler­be­treu­ung. Ich weiß, vie­les ist indi­vi­du­ell, aber soll­te das Ver­hält­nis zwi­schen Coach und Spie­ler eher distan­ziert-unter­kühlt oder eher freund­schaft­lich-warm sein? Kann man anhand der Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten des Spie­lers aus­ma­chen, wel­chen Weg man als Coach ein­schla­gen soll­te? Beim Duo Ker­ber-Schütt­ler bei­spiels­wei­se ver­mu­te ich auf Grund der vie­len inter­nen Ver­bin­dun­gen eher ein Kum­pel­ver­hält­nis (was Ker­ber viel­leicht gut tut, aber sport­lich sicher nicht wei­ter­brin­gen wird) und beim Duo Zverev-Lendl sehe ich die Ver­bin­dung von außen eher pro­fes­sio­nell-geschäft­lich. Schät­ze ich das rich­tig ein und wie ist Ihre Meinung?

Ste­phan Medem: Nun, die­se Beob­ach­tung in Sachen Kerber/Schüttler sowie Zverev/Lendl ist sicher­lich nicht ver­kehrt. Wobei ich ver­mu­te, dass bei Kerber/Schüttler auch noch ein biss­chen »DTB- bzw. Hor­dorff-Poli­tik« mit im Spiel sein könn­te. Gene­rell lässt sich Dei­ne Fra­ge nicht beant­wor­ten. Sicher­lich tut es einem Hitz­kopf wie Zverev sehr gut, wenn er einen eher ruhi­gen, ana­ly­ti­schen Bera­ter wie Ivan Lendl an der Sei­te hat. Was die Punk­te »distan­ziert-unter­kühlt« oder »freund­schaft­lich-warm« angeht: neh­men wir doch als Bei­spiel doch ein­fach mal eine Schul­klas­se. Wird sich ein Leh­rer heut­zu­ta­ge Auto­ri­tät ver­schaf­fen, indem er ver­sucht, auto­ri­tär auf­zu­tre­ten? Wohl kaum. Wird sich der Leh­rer Auto­ri­tät ver­schaf­fen, indem er kum­pel­haft auf­tritt? Der Kern der Sache ist doch ganz ein­fach: ich ver­schaf­fe mir Auto­ri­tät, indem ich mit mei­nen Kom­pe­ten­zen und mei­nem Wis­sen unmiss­ver­ständ­lich klar machen kann, dass ich von einer Sache eine Men­ge ver­ste­he und hel­fen kann. Hat mein Schü­ler, Coa­chée oder wer auch immer, das ver­stan­den, dann wird die Zusam­men­ar­beit auch Früch­te tra­gen. Somit wird alles ande­re zur Neben­sa­che. Denn ein Coach, sowie ein Coa­chée haben eine eige­ne Per­sön­lich­keit. Bei­de soll­ten sich nie­mals ver­bie­gen oder sich selbst untreu werden.

             

Sascha & Ivan

Sascha & Ivan


Hal­lo Herr Medem! Sascha Zverev hat ja die Finals gewon­nen. Sein ers­ter ganz, ganz gro­ßer Titel. Wel­chen Ein­fluss hat Coach Ivan Lendl hier­auf gehabt? Sascha prä­sen­tier­te sich ja psy­chisch sehr sta­bil. Und mich wür­de inter­es­sie­ren, was ein Coach von der Box aus wäh­rend einer Par­tie über­haupt noch aus­rich­ten kann. Sie haben ja wohl eben­falls län­ger dort geses­sen und ent­spre­chen­de Erfah­run­gen gemacht!

Ste­phan Medem: Nun, das ist wie ich fin­de eine sehr gute Fra­ge. Schon bei Andy Mur­ray hat Ivan Lendl einen sehr guten Ein­fluss gel­tend machen kön­nen. Sascha und auch sein Bru­der Mischa sind ja von Haus aus mit einer gehö­ri­gen Por­ti­on Tem­pe­ra­ment aus­ge­stat­tet, das hat ja in der Ver­gan­gen­heit auch für eini­ge def­ti­ge Buß­gel­der wegen »Racket-Abu­se«, Ärger mit dem Rackether­stel­ler sowie unnö­tig ver­lo­re­ner Par­tien geführt. Dass in einem sol­chen rela­tiv »heiss­blü­ti­gen« Umfeld ein Mann wie Ivan Lendl ein ruhi­ger Pol sein kann, darf nicht ver­wun­dern. Sei­ne, zumin­dest nach außen demons­trier­te, stoi­sche Ruhe hat auch schon zu sei­nen Zei­ten als Spie­ler legen­dä­ren Cha­rak­ter gehabt — wobei das auch bei ihm ein Lern­pro­zess war! In Lon­don hat die Prä­senz von »Ivan, dem Schreck­li­chen« sicher­lich gehol­fen, dass Sascha sein Tem­pe­ra­ment gut im Griff hat­te und somit sein bes­tes Ten­nis zei­gen konn­te. Belohnt hat er sich ja mit sei­nem bis­her wich­tigs­ten Titel. Ob der Ein­fluss von Lendl auch lang­fris­tig Bestand hält? Nun, das kann auch ich heu­te am Tag nicht beant­wor­ten… Aber ich wür­de es mir, wie sicher­lich vie­le von Euch Ten­nis-Freaks, abso­lut wünschen.

             

Charakterentwicklung

Cha­rak­ter­ent­wick­lung


Ich möch­te gern wis­sen, was Du als Men­tal­pro­fi einem Alex­an­der Zverev erzäh­len wür­dest, damit er lernt, mit Nie­der­la­gen bes­ser umzu­ge­hen. Gegen Tsit­si­pas konn­te er ein­mal mehr die groß­ar­ti­ge Leis­tung sei­nes Gegen­übers nicht aner­ken­nen und bezeich­ne­te das Match als erbärm­lich. Er mein­te sogar, er glau­be nicht, das Tstit­si­pas gut gespielt habe. Hier ist er mei­ner Mei­nung nach mei­len­weit von einem ech­ten Champ ent­fernt und genau des­halb muss­te ihm doch jemand sagen, dass dies so nicht geht, oder?

Ste­phan Medem: Nun, ich weiß nicht, ob der gute Alex­an­der hier­für einen »Men­tal-Pro­fi« braucht. »Einen guten Cha­rak­ter erkennt man immer in sei­nen schwie­ri­gen Zei­ten!« Das heißt natür­lich für einen Ten­nis­spie­ler logi­scher­wei­se, wie er sich nach Nie­der­la­gen ver­hält. Dass es auch anders geht, dass ken­nen wir von Spie­ler­per­sön­lich­kei­ten wie Roger Fede­rer, Rafa­el Nadal, Novak Djo­ko­vic und vie­len ande­ren. Alex Zverev ist mitt­ler­wei­le ein sehr guter Spie­ler, das beweist sei­ne Rang­lis­ten­po­si­ti­on ganz klar. Eine gute »Spie­ler­per­sön­lich­keit« — nun von die­sem Attri­but ist er offen­sicht­lich noch Licht­jah­re ent­fernt. Aber er ist ja auch ein paar Jah­re jün­ger als die ein­gangs genann­ten Per­sön­lich­kei­ten und die haben ihre Erfah­run­gen ja auch mit der Zeit gemacht, bzw. machen dür­fen und dar­aus gelernt. Viel­leicht — ach was: ganz sicher — lernt auch ein Alex­an­der Zverev auch noch ein biss­chen etwas dazu. Es wäre uns allen und ganz beson­ders ihm selbst auf jeden Fall zu wünschen.

             

»Serve-and-volley«

»Ser­ve-and-vol­ley«


Auch ich habe in den 80er-Jah­ren so gut wie kei­nen Ball­wech­sel von der Grund­li­nie gewon­nen, war also ein klas­si­scher »Net-Rus­her«, nur nicht ganz so erfolg­reich wie Ste­fan Edberg, Pat Cash, Patrik Raf­ter oder Boris Becker. Mischa Zverev hat mit die­ser »Old-School«-Spielweise einst bei den Aus­tra­li­an Open rich­tig gut auf­ge­mischt und, wie ja bekannt, auch die Nume­ro Uno besiegt.

Mei­ner Mei­nung nach hat er an die­sem Tur­nier die Kon­kur­renz mit »Ser­ve and Vol­ley« über­rum­pelt. Lang­fris­tig hat­te er jedoch mit die­ser Stra­te­gie in sei­ner rei­nen Form, vor allem auf lang­sa­me­ren Belä­gen kei­ne Chan­ce. Zu gut ist das Return­spiel in Sachen Prä­zi­si­on und frü­hem Treff­punkt der Retur­nie­rer gewor­den. Hät­te bei­spiels­wei­se Andy Mur­ray bei den »AO« mehr Eier in der Hose gehabt und sich getraut, frü­her, fla­cher und aggres­si­ver in sei­ne Returns zu gehen, wäre er von Micha ganz sicher nicht besiegt worden.

Ich gehe ein­mal von der Annah­me aus, dass Ihr daheim rela­tiv sel­ten auf Hart­plät­zen oder Rasen spielt son­dern mehr­heit­lich auf Asche, bzw. Gra­nu­lat in der Hal­le. Trotz­dem könnt und sollt Ihr »Ser­ve and Vol­ley« in Euer Reper­toire inte­grie­ren, indem Ihr z.B. zwei bis drei­mal pro Auf­schlag­spiel angreift. Aber halt nicht immer. Dadurch muss sich Euer Geg­ner nicht nur auf den Ball kon­zen­trie­ren, er muss auch immer einen Teil sei­ner Auf­merk­sam­keit bei Euch und einer even­tu­el­len Netz­at­ta­cke las­sen. Vor allem emp­feh­le ich die­se Vari­an­te in Big-Point-Situa­tio­nen, um den Druck auf den Geg­ner zu erhö­hen. Trai­nie­ren? Ganz ein­fach: Auf­schla­gen, erst dem Ball hin­ter­her ren­nen und dann erst schau­en, ob er im Feld ist. Größ­ter Feh­ler. Nicht weg vom Geg­ner spie­len, son­dern direkt auf den Kör­per, ruhig auch mit etwas Sli­ce. Dadurch schafft Ihr es näher ans Netz und Euer Geg­ner wird durch die Aus­weich­be­we­gung in eine Rück- oder Sei­ten­la­ge gedrängt. Haut rein! Ich wün­sche Euch vie­le punkt­brin­gen­de Netz­at­ta­cken, denn es gibt nichts Cooleres.