An sich glauben
Hallo Frau Neumann. Mein Sohn ist ein sehr talentierter Nachwuchsspieler aus Niedersachsen. Leider scheitert er immer wieder an seinen Nerven, wenn es um die entscheidenden Punkte geht. Technisch und konditionell ist er seinen Gegenübern eigentlich nie unterlegen, viele Matches verliert er aber im Kopf. Besonders heikle Situationen spielen sich bei seinem Aufschlag ab. Dann nämlich, wenn er auf der Vorteilsseite zum zweiten Service greifen muss. Hier heißt es dann meist »Doppelfehler« oder »Einwurf«. Im Training spielt er erste wie zweite Aufschläge mit einer spielerischen Leichtigkeit ins Feld. Wie sollten wir Ihrer Meinung nach dieses Problem angehen?
Brigitte Neumann: Da Ihr Sohn anscheinend in allen anderen Bereichen seines Tennisspiels keine oder nur wenig Schwierigkeiten hat, scheint er seinen zweiten Aufschlag von der Vorteilsseite mit einem negativen Gefühl in Verbindung zu bringen. Die Emotionen heißen in diesem Moment vermutlich »Zweifel, Unsicherheit, Versagensangst«. Er beschäftigt sich nicht mit dem Schlag an sich, sondern mit den Folgen. Es gibt hier viele unterschiedliche Methoden, um aus diesem Dilemma herauszufinden. Es muss eine Umbewertung der Situation stattfinden. Eine erfolgreiche Methode ist die Arbeit mit kinesiologischen Übungen und Affirmationen.
Kinesiologie und das Gehirn
Da die Steuerung der Muskeln über die beiden Gehirnhälften läuft, steht die Kinesiologie eng mit der Gehirnforschung in Verbindung. So steuert die rechte Gehirnhälfte die linke Körperseite und die linke Gehirnhälfte die rechte Körperseite. Die linke Gehirnhälfte ist die logische und taktisch arbeitende Seite während die rechte Gehirnhälfte Emotionen wie Angst verarbeitet. Die linke Gehirnseite ist demnach für das rationale Denken sowie analytische Denkweisen verantwortlich. Die rechte Gehirnseite ist hingegen für die Intuition, Kreativität und Gefühle zuständig. Wenn Angst und Unsicherheit die rechte Gehirnhälfte im Griff haben, bleibt wenig Energie für die linke Hälfte. Das Resultat: Black Out, Panik, Verzweiflung, Ausweglosigkeit, Zittern des Schlagarms und der Beine, Kraftlosigkeit.
Einfache Körperübungen regen beide Gehirnhälften an
Durch einfache Körperübungen kann man das Gehirn beidseitig aktivieren, um eine bessere Leistungsfähigkeit zu erreichen. Diese Körperübungen helfen, sich in kritischen Situationen besser zu konzentrieren. Regelmäßig durchgeführt steigern die Übungen die Leistungsfähigkeit. Außerdem machen sie Spaß und reduzieren möglicherweise bestehenden Stress und Leistungsdruck.
Überkreuz-Bewegungen
Eine mögliche Überkreuz-Übung ist folgende: Linke Hand zum rechten Knie führen dann rechte Hand zum linken Knie. Etwa zehn Mal wiederholen. Diese Übung lässt sich leicht im Trainings- und Wettkampfalltag anwenden. Vor dem Training oder Match, beim Warm-Up, beim Seitenwechsel.
Affirmationen sind eine Art der Selbstmotivation. Wenn der Spieler eine Situation negativ bewertet, wird seine Energie und Sicherheit schwinden. Klare positive Sätze wie: „Ich kann es und ich schaffe es!“ „Bleib ruhig und konzentriert!“ helfen dabei an sich zu glauben und erfolgreich zu handeln. Gleichzeitig vermindert ein stoßartiges Ausatmen (Stress bewusst weg atmen) und das langsame und tiefe Einatmen (Ruhe und Konzentration in alle Körperzellen atmen) die Verkrampfung. Ebenso das kurze Schütteln und damit Entspannen des Schlagarms direkt vor dem zweiten Aufschlag.
Alle diese Übungen sollten bereits in jedem Training eingeübt werden. Bewusst, regelmäßig so lange bis dieses Vorgehen automatisiert ist und ganz selbstverständlich angewendet wird. Alleine die Möglichkeit, etwas an der kritischen Situation zu verändern zu können, wird Ihrem Sohn helfen, wieder optimistischer an den für ihn besonderen Aufschlag heranzugehen. Probiert es aus! Falls diese Variante bei Ihrem Sohn nicht klappt, bitte melden! Da gibt es noch viele weitere Möglichkeiten.
„Lass die Angst vor dem Scheitern nicht größer sein als die Lust auf das Gelingen.“ (Robert Kiyosaki)